Sie performen auf Marktplätzen. Sie illustrieren ihre Songs von Verbrechen, Mord und Totschlag für das fasziniert-entsetzte Publikum mithilfe großer, bunter Tafeln, um den Thrill ihrer Liedtexte noch zu unterstreichen. Die Melodien ihrer Lieder sind einfach und prägen sich sofort ein. Den Gesang der Straßenentertainer begleiten Drehorgeln, Geigen und Gitarren.
Historische Entertainer
Welches Bild hattest Du eben bei der einleitenden Beschreibung vor Augen? Eine experimentelle Künstlergruppe, die zurzeit mit einem provokanten Programm durch die Fußgängerzonen Roms, Londons und Berlins tourt? Könnte theoretisch passen, allerdings geht es um etwas anderes, nämlich um die sogenannten Moritaten- und Bänkelsänger, die vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert eine gängige Erscheinung auf europäischen Straßen waren.
Musikalischer Nachrichtendienst
Unter Bänkelliedern oder Bänkelgesang versteht man Lieder, deren Texte vorzugsweise von dramatischen Inhalten berichteten. Die Bänkelsänger waren mit diesem Liedgut auf Jahrmärkten, Dorfplätzen, in den Häfen und auf den Straßen der Städte und Dörfer unterwegs (oft auf einem kleinen Podest oder Bänkchen = „Bänkel“) und stellten mit ihren Darbietungen eine Mischung aus Nachrichtendienst und Alleinunterhalter dar. Häufig erzählten sie in ihren Liedern von aktuellen Begebenheiten, die tatsächlich – so oder so ähnlich – passiert waren, einschließlich politischer Ereignisse.
Grusel, Sex & Crime
Die Bänkelsänger bestritten durch ihre „Shows“, bei denen sie manchmal sogar extra angefertigte Textheftchen verkauften, ihren Lebensunterhalt. Je mehr Publikum sich also für ihre musikalischen Vorträge interessierte, desto besser für die anschließende „Hut-Kasse“. Es ging darum, die Zuhörer nicht nur inhaltlich und musikalisch, sondern auch optisch in den Bann ihrer Geschichten zu ziehen. Aus diesem Grund hatten Bänkelsänger Bildertafeln dabei, die das vertonte Geschehen zusätzlich als bunte Illustration vor Augen führten. Die Freude der Bevölkerung an Grusel, Sex und Crime war damals nicht weniger ausgeprägt als heute und so kamen sensationell-schaurige Inhalte beim Publikum immer besonders gut an.
Moritaten
Insbesondere die sogenannten Moritaten waren bei der Bevölkerung äußerst beliebt. Eine Moritat ist eine Sonderform des Bänkelgesangs, die sich dadurch auszeichnet, dass sie von ganz besonders gruseligen Begebenheiten und Geschichten erzählt. Neben der eigentlichen Schauergeschichte enthielten Moritaten immer auch eine Art moralischen Zeigefinger. Die Herkunft des Wortes „Moritat“ ist umstritten, aber eine Erklärungsvariante besagt, dass sich der Ausdruck vom Wort „Mordtat“ ableitet.
„Und der Haifisch, der hat Zähne …“
Die weltweit berühmteste Moritat dürfte die „Moritat von Mackie Messer“ aus der Dreigroschenoper sein. Das Theaterstück von Berthold Brecht mit der Musik von Kurt Weil wurde am 31. August 1928 in Berlin uraufgeführt und „Mackie Messer“ bzw. die englische Fassung „Mack the Knife“ ein Welthit. Insbesondere aus dem Jazz war das Stück nach einiger Zeit nicht mehr wegzudenken. Doch nicht nur Jazzgrößen wie Louis Armstrong spielten den Song ein und interpretierten ihn neu – bis heute hat die „Moritat von Mackie Messer“ für unzählige weitere Künstler nichts von seiner Faszination eingebüßt. Im Gegenteil: die Moritat und der Bänkelgesang sind inzwischen von etlichen Künstlern als prägnantes Stilmittel wiederentdeckt worden und damit fast schon wieder trendy …
Quellen/Bilder:
de.wikipedia.org/wiki/Bänkelsang
de.wikipedia.org/wiki/Die_Dreigroschenoper
de.wikipedia.org/wiki/Die_Moritat_von_Mackie_Messer
de.wikipedia.org/wiki/Moritat
de.wikipedia.org/wiki/Datei:Moritatenerzähler.jpg
pixabay.com/de/musik-instrumente-seil-violine-ton-1022159/